Michaels Reisetagebuch - Michael Schubert berichtet in seinem Erfahrungsbericht über schwere Missstände in Graz/Österreich

Funk: "Bakary J. war erster echter Folterfall"


Weiter Kritik an an Innenministerin Liese Prokop - Bürstmayer: Fremdenrechtspaket brachte Wende zu Law & Order

Wien, 9-12-2006 - Nach dem gestern vorgelegten Wahrnehmungsbericht zahlreicher Hilfsorganisationen zur Lage der Asylsuchenden geht die Kritik an Innenministerin Liese Prokop (V) und dem heuer in Kraft getretenen Fremdenrechtspaket unvermindert weiter. Bei der Präsentation des Menschenrechtsbefundes 2006 für Österreich am Donnerstag sprach der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk vom "ersten klaren Folterfall" des Schubhäftlings Bakary J. im Frühling. Rechtsanwalt Georg Bürstmayer konstatierte eine politische Wende hin zu law&order. Der Volksgruppenexperte Dieter Kolonovits verwies auf das weiterhin ungelöste Dauerproblem der zweisprachigen Kärntner Ortstafeln.

Gemäß internationaler Verträge sei die Causa des 33-jährigen Gambiers Bakary J., der vorigen April von WEGA-Beamten in einer Lagerhalle gequält worden war, ein "klarer Folterfall", konstatierte Funk. Eine Quantifizierung der polizeilichen Übergriffe wollte er nicht vornehmen, aber: "Das Werkl produziert Fehlleistungen." Ohne konkrete Namen zu nennen, zieh Funk die "Ressortleitung des Innenministeriums" der Kritikverweigerung. Statt einer Problemeinsicht gäbe es nur "reflexhafte Antworten". Zudem forderte der Vizevorsitzende des Menschenrechtsbeirats die volle Wiedergutmachung für Bakary J. statt dienstrechtlicher Konsequenzen für Polizisten oder milde Gerichtsurteile.

Das Fremdenrechtspaket bringe einen "Paradigmenwechsel", meinte Bürstmayer. Der Leiter einer Kommission des Menschenrechtsbeirates sagte, dass Fremde jetzt als "polizeiliches Sicherheitsrisiko" und "Objekte" gesehen und behandelt würden. Bürstmayer sprach von einer "Verpolizeilichung" - mit mehr Kompetenzen für die Beamten und weniger Grundrechten für die Fremden. Darüber hinaus sei die Polizei durch ihre Reform "remilitarisiert" worden. Heftige Kritik übte er an der steigenden Zahl und Dauer von Schubhaftsfällen. Die Abschiebung von Jugendlichen der zweiten oder dritten Generation wegen kleiner Delikte sowie die Auslandsantragsstellung von Immigranten sei eine Missachtung von Familienleben. Diese restriktive Ausländerpolitik würde auch den Wirtschaftsstandort schädigen. Z.B. bei den Schlüsselkräften sei die Quote bereits zu Jahresmitte erschöpft gewesen.

Kolonovits kritisierte, dass die slowenische Minderheit in Kärnten noch immer nicht die ihr zustehenden zweisprachigen Ortstafeln bekommen hätte, obwohl der entsprechende Verfassungsgerichtshofsbescheid mittlerweile fünf Jahre zurückliege. Würde man die Topographieverordnung entsprechend ergänzen, wäre das Problem aus der Welt. Allerdings verwies er darauf, dass die Ortstafeln nur ein Teil des Problems seien. Tatsächlich müssten "alle Aufschriften mit geographischem Bezug" (Orte, Flüsse, Berge) auf Hinweistafeln oder auf Gebäuden zweisprachig ausfallen.

Die Österreichische Liga für Menschenrechte feiert heuer ihr 80-jähriges Bestehen. Seit beinahe 20 Jahren präsentiert die überparteiliche Gemeinschaft zum Schutz der Menschenrechte in Österreich einen jährlichen Menschenrechtsbefund. (APA)

Aktueller Nachtrag: Am 17. Dezember 2006 meldete der 'Kurier', dass die Suspendierung der an der Folter beteiligten Polizisten aufgehoben wurde. Sie dürfen wieder Polizeidienst verrichten. Im Innendienst.

'Der Standard' (24. Mai 2007): Österreich ist eines von 102 Ländern, die auf der Folterliste im neuen Jahresbericht der Menschnerechtsorganisation 'Amnesty International' stehen. Ein Umstand, der für Heinz Patzelt, 'Amnesty'-Generalsekretär in Österreich, ein Zeichen für 'Ignoranz und Ohnmacht' ist. 'Dass die Polizeibeamten im Fall Bakary mit milden Bewährungsstrafen davonkamen, muss in in einem Rechtsstaat akzeptiert werden. Dass aber nicht einmal der Staatsanwalt Bedenken gegen die Urteile angemeldet hat, ist bedenklich', kritisierte Patzelt und forderte die Schaffung eines Anti-Folter-Paragrafen im Strafgesetz (... den es bis heute nicht gibt).

In der 'Wiener Zeitung' wurde am 28. Juli 2007 ein Interview mit dem UN-Sonderbeauftragten über Folter, Manfred Nowak, veröffentlicht, das sich auch mit dem Fall Bakary und der völligen Lernunfähigkeit der Verantwortlichen beschäftigt:
Frage: Sie haben mit unzähligen Folteropfern zu tun. Wie halten Sie das durch?
Nowak: Manchmal gibt es schon Fälle, die mich frustrieren - etwa der Fall Bakary Jassey. Das ist wirklich der erste Fall, in dem Folter in Österreich nachgewiesen wurde. Obwohl er schwer verletzt und traumatisiert war, hat es mehrere Monate gedauert, bis er aus der Schubhaft entlassen wurde. Glauben Sie, dass er heute ein Aufenthaltsrecht hat? Bakary will hier bleiben, er hat eine österreichische Frau und kleine Kinder. Es stimmt, dass er ein Drogendelikt begangen hat, die Strafe dafür hat er auch verbüßt. Aber dann ist er gefoltert worden. Kein Mensch hat sich bei ihm entschuldigt und ihm eine angemessene Wiedergutmachung wie ein Aufenthaltsrecht angeboten.

... Nowak weiter:
Ich habe gerade den Fall eines Sudanesen zu prüfen. Der ist aus Darfur geflohen, kam als 15-Jähriger nach Italien. Und seit drei Jahren wird dieser Mensch wie ein Paket zwischen Italien, Deutschland und Österreich hin- und hergeschickt. Dabei ist der Ausgang seines Asylverfahrens völlig klar: Niemand kann im Moment nach Darfur zurückgeschickt werden. Vor seiner Abschiebung drohte er mit Selbstmord, dann hat er sich aus Verzweiflung gegen die österreichischen Beamten gewehrt, dadurch 'Widerstand gegen die Staatsgewalt' begangen, und verbüßt derzeit seine Strafe in der Justizanstalt Korneuburg. Obwohl er nach dem missglückten Abschiebeversuch zwei Selbstmordversuche begangen hat, will ihn die Fremdenpolizei nach der Verbüßung seiner Haftstrafe dennoch wieder abschieben. So wird mit Menschen umgegangen!

Die 'Kleine Zeitung' berichtet am 8. Januar 2010: Zwei Polizisten wurden entlassen, einer erhielt die finanzielle Höchststrafe von fünf Monatsbezügen und macht nur mehr Innendienst, ein weiterer inzwischen pensionierter Pensionist muss den Verlust aller aus dem Dienstverhältnis stammenden Rechte und Ansprüche hinnehmen. Strafrechtlich waren die Polizisten wegen Quälens eines Gefangenen zu bedingten Haftstrafen zwischen sechs und acht Monaten verurteilt worden. Sie hatten dem Gambier nach einer nicht durchgeführten Abschiebung umfangreiche Frakturen von Jochbein, Kiefer und Augenhöhle zugefügt. In dienstrechtlicher Hinsicht sprach sich der Disziplinaranwalt deshalb für ihre Entlassung aus dem Polizeidienst aus, fand mit dieser Forderung bei den Disziplinarbehörden aber kein Gehör. Die beim Bundeskanzleramt eingerichtete Disziplinar-Oberkommission reduzierte vielmehr in zweiter Instanz sogar bei drei Beamten die ursprünglich verhängten Geldstrafen. Ihre Suspendierung war zu diesem Zeitpunkt bereits aufgehoben, die Gesetzeshüter verrichteten zuletzt wieder Innendienst.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat der Beschwerde der vier Polizisten aufschiebende Wirkung zuerkannt, teilte der Verteidiger der Polizisten, Johannes Schmidt, am Dienstag mit. Damit ist die Entlassung eines der Polizisten vorläufig ausgesetzt, ebenso wie der Verlust der Ansprüche des pensionierten Beamten. (aus: "Die Presse" vom 23. März 2010)

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